Theatergemeinde
München

Deutsche Bühne 07/2011

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„Sehen und gesehen werden": Tagung in München zum 60-jährigen Bestehen des Bundes der Theatergemeinden

Von ANNE FRITSCH

Sehen und gesehen werden – Das Theater und sein Publikum: Unter diesem Motto traf sich der Bund der Theatergemeinden Anfang Juni zu seinem 60-jährigen Bestehen in München. Zwei Tage lang gab es Gespräche und Vorträ­ge über Theater und Zuschauer, Kunst und Un­terhaltung, Anspruch und Anspruchsdenken sowie Verkaufsstrategien und die vielfältige Arbeit der Theatergemeinden. Da der Nach­wuchs bekanntlich nicht von alleine kommt, müssen sich Intendanten wie Zuschaueror­ganisationen die Frage stellen, wie man die Menschen ins Theater lockt. Und das, wenn möglich, ohne sich anzubiedern. Um diesem ehrgeizigen Ziel ein wenig näher zukommen, hatte die Theatergemeinde München Redner und Diskutanten ins Künstlerhaus eingeladen, um dem Wesen und Willen der Zuschauer ein wenig näher zu kommen.

Johan Simons, Intendant der Münchner Kammerspiele, berichtete in seinem Eröff­nungsvortrag, wie viel er in seiner ersten Spielzeitüber die Eigenheiten des hiesigen Publikums gelernt hat. Wo er anfangs auf einer Welle des Lobes schwamm, folgte ei­ne Flut herber und verletzender Kritikvon Presse und Zuschauern, die negativ auf Aus­sehen oder den Akzent seiner Schauspieler reagierten. Anstatt aber beleidigt zu reagie­ren, sucht Simons die Auseinandersetzung mit seinem polemischen Publikum: Wenn jemand beispielsweise sein Abonnement kündigt, weil ihm „zu viele dicke Menschen" auf der Bühne sind (tatsächlich geschehen), ruft er an und fragt nach. Denn im Grunde schätzt er es, wie die Münchner sich mit ihrem Theater identifizieren. Als Holländer sieht er das deutsche Bildungsbürgertum, das ein Interesse für Kunst und Theater von Generation zu Generation weitergibt, sehr positiv. Auch wenn ihn bisweilen sein Zorn trifft: „Die Diskussion ist wichtiger als der Applaus."

Jochen Schölch, Gründer des mittlerweile überregional bekannten Münchner Metro­poltheaters, geht noch einen Schritt weiter: Für ihn ist die „totale Unabhängigkeit" Vor­aussetzung seines künstlerischen Schaffens. Er lebt von seiner Schauspiel-Professur an der Bayerischen Theaterakademie und will nie Gefahr laufen, aus materiellen Zwängen und Quotendruck seine Ideale von einem lebendigen, phantasievollen und nachdenk­lichen Geschichtenerzählen zu verraten. Zu viel Flexibilität im Angebot hält er insge­samt für fragwürdig: „In unserer Multi-Opti­ons-Gesellschaft sollten Institutionen junge Menschen anleiten und ein Statement abge­ben, was sie für wichtig halten", rät er auch den Theatergemeinden.

Denn was „das Publikum" will, ist ohnehin eine nicht zu beantwortende Frage, wie sich im Laufe der Gespräche mit Theatermachern, Kritikern und Kulturorganisatoren heraus­stellt. „Es gibt viele Publikümmer", so C. Bernd Sucher. Jeder Zuschauer habe seine eigenen Vorlieben: der eine will verstehen, der andere grübeln, einer will lachen, einer mitfühlen, der andere sich überraschen lassen, der nächste auf gar keinen Fall überrascht werden – sie alle zu befriedigen, sei unmöglich. „Will man eine Vorstellung, in der noch der Dümmste alles versteht?", fragt Sucher provokant. Wenn es nach ihm geht, darf Theater durchaus eine Anstrengung sein, so lange man etwas erlebt, von dem man zuvor nicht wusste, dass es existiert. Wenn Verstehen und Erleben Hand in Hand gehen und man sich als Zuschauer eine Offenheit für unbekannte Sichtweisen bewahrt, sind das wohl die besten Vorausset­zungen für einen gelungenen Abend.

Um ihren Kunden einen solchen zu ermög­lichen, dafür legen sich die Theatergemeinden auf unterschiedliche Weise ins Zeug: mit Pro­be-Abos, aufwendigen Jubiläumsfeiern, mit einem transparenten Angebot ohne irgend­welche Katzen in Säcken, mit persönlicher Betreuung und selbst geschmierten Brötchen im Bus. Von wegen Service-Wüste!

Mit freundlicher Genehmigung des Theater-Magazins "die deutsche bühne"

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